Kriegsende in Oedingen vor 70 Jahren – Erfahrungsberichte

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von Oliver Breiting

Mit dem Einmarsch der Amerikaner am 10. April 1945 endete für Oedingen der zweite Weltkrieg. Aus diesem Anlass folgen zwei bisher unveröffentlichte Zeitzeugenberichte. Ein Bericht stammt von Emil Pieper der von 1931 bis 1946 Pächter von Haus Valbert war und die Geschehnisse um Haus Valbert beschreibt. Der andere Bericht stammt von Karl-Josef Fleper und beschreibt u.a. die Geschehnisse im Felsenkeller. Weitere Berichte sind schon in der Oedinger Chronik ab Seite 121 abgedruckt.

 

Auszug aus „Erinnerungen an frühere Jahre“

von Emil Pieper

Emil Pieper (geboren 1901) hat seine Erinnerungen im Jahr 1969 aufgeschrieben. Daher ist sicher zu erklären dass die von ihm genannten Datumsangaben teilweise von den tatsächlichen abweichen.

 

„Anfang 1945 hörte man, dass die Deutschen Truppen schon auf dem Rückzug nahe der heimischen Grenze wären. Bald waren ausländische Truppen überall auf deutschen Boden, im Osten war der Russe im Anmarsch, im Westen Amerikaner, Engländer, Franzosen und Belgier. Auf den Straßen wurden Panzersperren gebaut. Es wurde der Volkssturm gebildet. Ich wurde auch noch, wie (viele) alte Männer, zum Panzersperrenbau herangezogen. Die Kugeln pfiffen uns schon längst um die Köpfe, aus dem 5 Kilometer entfernten Dorf Bracht, wo sich der Amerikaner im Quartier befand. Von dort aus schossen sie mit der Artillerie viele Häuser in Brand. Der Pole, den ich als Arbeiter hatte, kam mit dem Pferde in den Wald, wo wir am Holzfällen waren für die Sperren. Als ich ihn fragte, wo er denn herkäme, sagte er mir, dass er den Befehl von den Soldaten bekommen hätte Geschütze in Stellung zu fahren und dann noch Holz schleppen sollte. Es war kurz vor 12 Uhr. Ich sagte für den Ortsgruppenleiter, der die Aufsicht bei uns hatte, ich wollte erst einmal nach Hause. Der Weg war gut eine halbe Stunde weit, ich nahm den Polen und das Pferd mit. In einer Stunde wollten wir dann wieder zurück sein, sonst hätte er uns nicht gehen lassen. Ich wusste nämlich, dass selbiges nicht in Frage kam, weil der Feind das Feuer verstärkte und immer näher kam. Denn die Kugeln hörten wir vorher schon immer zischen und im benachbarten Leckmart waren schon am Morgen 2 Häuser getroffen worden. Als ich nach Hause kam, waren auf dem Hofe eine Kolonne Soldaten, diese waren am Morgen von Lüdenscheid nach hier kommandiert worden um hier in Stellung zu gehen. Auf die Frage wie lange sie denn dächten hier zu bleiben, sagten sie 8 bis 10 Tage. Dass die Amerikaner nur noch 7 Kilometer entfernt waren, wussten sie nicht. Am anderen Tage zogen sie aber wieder ab, es wurde auch höchste Zeit. Außer diesen Landsern hatten wir 3 Wochen lang dauernd deutsche Truppen in Quartier. Die Stuben waren alle belegt, ebenfalls die Scheune, der Keller usw.

2Es war am 17. April 1945 als die ersten feindlichen Vorposten sichtbar wurden. Ich bemerkte 250 Meter vom Hof, wie 2 Amerikaner sich bei einem deutschen Geschütz zu schaffen machten. Es waren noch 12 deutsche Soldaten bei uns im Quartier, ich verständigte selbige über den Vorfall, worauf diese sehr aufgeregt wurden. Sie machten sich bereit, legten die Maschinenpistolen in die Kellerfenster zur Verteidigung. Auf die Frage, sie wollten doch nicht schießen, gab mir einer die Antwort, sie wollten sich nur verteidigen. Zum Glück kam der Feind nicht näher, weil wir sonst alle gefährdet gewesen wären und alle Gebäude wären in Schutt und Asche geschossen worden. Ich machte den Vorschlag in der Dämmerung den Rückzug anzutreten, weil der Feind doch nicht mehr vorrückte und so geschah es, dass die deutschen Soldaten ohne jeden Schuss abzogen. Das Wohnhaus war am Tage vorher beschossen worden und erhielt 2 Volltreffer. Dieses war darauf zurückzuführen, dass 2 Militärwagen am Wohnhaus geparkt hatten. Der Aufklärer hatte die Wagen festgestellt und es gemeldet, worauf die Artillerie einsetzte. Ich hatte schon acht Tage lang parken verboten weil schon immer Gefahr bestand, dass Beschuss erfolgte. Die Flieger zogen ja dauernd im Tiefflug vorbei. Ganze Kolonnen von Fahrzeugen suchten dauernd Deckung. An ein Arbeiten auf dem Feld war kein Gedanke mehr, um den Hof waren nur noch Granatlöcher. Der Milch-Fuhrmann musste oft mit seinem Fahrzeug in Deckung fahren. Es war jetzt doch gut, dass die Amerikaner einrückten, weil man die Angst Tag und Nacht doch satt war.

Am 18. April 1945  morgens um 10 Uhr zogen die Amerikaner auf den Hof. Vorher hatte ich ein weißes Bettlaken raus gehängt. Auf dieses Zeichen waren die Panzer binnen 10 Minuten erschienen und fuhren direkt vor die Haustür. Schnell sprangen mehrere Amis auf mich zu und ich wurde verhört. Der Militärpass wurde zuerst verlangt. Andere fragten, ob noch deutsche Soldaten auf dem Hof wären und ob ich im Besitze von Pistolen oder Gewehr sei. Ich hatte das Jagdgewehr daliegen mit Patronen beiliegend, aber darauf legten die ersten 2 Kolonnen keinen wert. Aber am Nachmittag die 3. Kolonne, die mussten den Schaft an der Flinte kaputt schlagen und hatten denselben versteckt. Nach 14 Tagen fand ich ihn zufällig unter einem großen Stein.

Wir hatten viel kaputt an Maschinen und Hausrat. Ein Rind wurde von den Amerikanern nachts von der Weide geholt und geschlachtet. Das Beste hatten sie gegessen und das andere verscharrt, kurz nachher fand ich die Reste. Im Hause wurde jedes Zimmer durchsucht, jeder Schrank und Koffer kontrolliert. Was zugeschlossen war wurde gewaltsam geöffnet, mit dem Karabiner wurde das Schloss kaputt geschossen. Der Inhalt wurde dann ins Zimmer geschleudert. Diese Kontrolle wiederholte sich am Tage 3mal. Denn es folgten ja immer neue feindliche Truppen, die ersten waren dann schon weiter gezogen. Nachmittags des selben Tages rückten die Infanteristen ein, es waren über 200 Mann, diese hatten schon tags vorher im Walde, der 1 Kilometer vom Hof entfernt war, Quartier gemacht. Dieselben konnten von dort den Nachbarhof und uns gut beobachten und ebenfalls die vorbeiführende Straße. Die deutschen Soldaten hatten viel Material wie Panzer, Geschütze, Feldküchen und sonstige Fahrzeuge, Motorräder usw. zurücklassen müssen. An Zeug waren vor allem Mäntel, Stiefel und alles was sie bei der Flucht hinderte weggeworfen worden. Es waren manche Sachen welche man gut gebrauchen konnte, besonders Schuhe usw., es war im Krieg ja alles knapp und rationiert.

Die Infanteristen der Amerikaner blieben mehrere Tage auf dem Hofe in Quartier. Diese Mannschaft brauchte jeden Raum als Lager, Scheune, Kornboden und Ställe. Die Schweine wurden auf einen Stall zusammengepfercht und dann dickes Stroh auch ungedroschene Garben in die Ställe geworfen, worauf sie dann schliefen. Auf dem Heuboden lagen Soldaten auf den Körnern, natürlich hatten sie hier ebenfalls für eine gute Unterlage gesorgt, ebenfalls im Keller. Hier will ich noch erwähnen, dass wir den Keller als Schlafzimmer bewohnten, da im Wohnhaus die bewohnten Zimmer alle durch den Beschuss beschädigt waren.

Die Amerikaner lagen nebenan mit 8 Mann. Ich erinnere mich noch gut, als es dunkel wurde, dass Türen mit Brettern zugepackt wurden. Vorher hatten sie mir gesagt, dass ich nicht des Nachts eintreten dürfe. Es war bekannt, der Ami war vorsichtig um seine Leute zu schonen, er ging niemals einer allein und ohne Gewehr. Ich hatte noch eine gute Plane zum Wagen zudecken, hatte sie im Kriege auf einen Gutschein bekommen und hatte dieselbe gut gepflegt. Die hatten sie um die Fenster zu verdunkeln total kaputt geschnitten. Das Licht erzeugten sie selber, sie hatten alle Maschinen zur Verfügung. Auf der großen Tenne im Wohnhaus, welche noch zugänglich war, hatte der Sanitäter das Verbandszeug und Medikamente ausgebreitet. Wir hatten noch im angrenzenden Pferdestall Tiere stehen und mussten mit dem Futter dort vorbei. Man musste sehr vorsichtig sein, sonst war was los. Der reine Amerikaner war ganz angenehm, aber die Truppe hatte viele Leute aus anderen Nationen als Soldat eingestellt, wie Russen, Polen usw. und diese waren es die auf Raub ausgingen, Tiere abschlachteten und Sachen mitnahmen die ihnen gefielen. Mir hatten dieselben auch den Trauring mitgenommen, den ich immer wenn ich ihn nicht am Finger hatte in einem schönen Portmonee aufbewahrte. Ebenfalls einige Filme, den Zylinder hatten sie beim Abzug aufgesetzt. Ein Deutscher Soldat kam am 2. Tag der Besetzung auf den Hof in voller Uniform, er hatte einige Tage im Wald versteckt gehaust. Da er nicht wusste wohin, hat er sich als Gefangener gestellt. Er wurde von einer Vielzahl bewaffneter Amis in Empfang genommen und verhört. Es tat mir für den jungen Soldaten sehr leid, wo er hintransportiert wurde habe ich nicht mehr erfahren.

Am Nachmittag, den 19. April 1945 um ½ 3 Uhr schossen unsere Soldaten noch mal aus einem benachbarten Gelände genau aufs Wohnhaus. Ich sah die Amerikaner einen toten Kameraden und zwei Verwundete abtransportieren. Jetzt war unsere Freiheit aber zu Ende, wir mussten uns ganz ruhig verhalten. Das waren die letzten Schüsse die wir gehört hatten. Somit hatten wir die Erlebnisse des Rückzuges mitgemacht. Die Besatzungstruppen zogen weiter und wir hatten jetzt endlich mal etwas Ruhe und konnten aufräumen. Bei Plettenberg und Werdohl mussten sich die letzten deutschen Soldaten ergeben und kamen in Gefangenschaft, meistens nach Remagen ins Lager.“

 

Wie ich als 13-jähriger das Kriegsende des 2. Weltkrieges in Oedingen erlebte

von Karl-Josef Fleper (1931-2007)

 

„Gegenüber den Menschen in den Städten spürten wir die Auswirkungen des Krieges auf dem Lande, hier in Oedingen, weniger. Hier war fast ein jeder Selbstversorger und hatte jede Familie Kuh, Schweine, Ziegen, Schafe oder Hühner. Ich musste jeden Nachmittag nach der Schule Ziegen hüten wo ich gar nicht so erbaut von war, aber ich erinnere mich gern an diese Zeit zurück, man war naturverbunden.

Was an der Front passierte erfuhr man durch das Radio oder heimische Soldaten die in Urlaub waren und berichteten. Die Bombenangriffe auf deutsche Städte wurden immer mehr, erst nur nachts, zuletzt auch am hellen Tag, weil die deutsche Abwehr immer weniger wurde. Schlimm wurde es ab 1944 mit den Tieffliegern. Sie schossen auf Züge, Autos und sogar auf einzelne Personen die auf dem Felde waren. Wenn die hiesige Firma (Klein u. Biermann) mit dem LKW nach Grevenbrück fuhr, musste ein Mann auf den Kotflügel und auf Tiefflieger achten.

Im Herbst 1944 (März 1945) ereignete sich nachts ein Luftkampf über Oedingen und ein amerikanischer Bomber stützte in Leckmart hinter Brinkmanns ab. Sieben Kanadier kamen ums Leben und wurden auf dem Oedinger Friedhof im Massengrab beigesetzt. Später nach dem Krieg wurden sie von Amerikanern umgebettet.

Im Frühjahr 1945 rückte die Front immer näher und man konnte den Kanonendonner aus weiter Ferne hören. Die Erstkommunion fand in der Frühe, als es noch dunkel war, unter fernem Geschützdonner statt.

Wir bekamen Ende März 1945 Einquartierung, eine deutsche Einheit (Heeresstreife) hatte sich für einige Tage hier festgesetzt und benötigte dann einige Zimmer im Ort die beschlagnahmt wurden. Wir hatten einen Major von der Heeresstreife und beim Nachbar (Linn) war der Melder (motorisiert, soweit noch Benzin vorhanden war). Der Geschützdonner wurde immer lauter und am Abend des 08. Aprils 1945 (Sonntag) brachte der Melder die Nachricht dass der Feind 6 km vor Oedingen stünde worauf sich der Major mit seinem Gefolge auf und davon machte.

Da wir keinen Keller hatten entschlossen wir uns (meine Mutter, meine Schwestern und ich) im Felsenkeller Schutz zu suchen wo sich schon viele Oedinger mit ihren nötigsten Habseligkeiten bereits eingefunden hatten. Der Felsenkeller war ein im Fels gehauener Stollen, ca. 3 mtr. Breit und 2,5 mtr. Hoch und ca. 100 mtr. lang. Leider ist der Eingang später zugeschüttet worden. Wir haben hier zwei Tage und Nächte verbracht und es kamen immer noch mehr Leute.

Oedingen003Am Dienstag, den 10. April 1945, rückte der Amerikaner von Bracht her nach Oedingen ein. Nachdem noch ein paar deutsche Soldaten Widerstand geleistet hatten kam es zur Schießerei, hauptsächlich mit Panzergranaten, und es gerieten einige Häuser von Oedingen in Brand. Piepers (jetzt Sommers Mohr), Jugendheim, Schneppers, Schulten und Winkelmeyer brannten. Löschen war gefährlich weil geschossen wurde. Die Kirche hatte mehrere Einschüsse abbekommen, u.a. die Fenster, welche bunt mit den 8 Seligkeiten versehen waren, mussten mühsam wieder repariert werden. Ebenfalls wurde die Lebensgroße Herz-Jesu-Statue beschädigt und wurde vom Schreiner Geuecke aus Brenschede repariert. Geläutet werden konnte nicht mehr da alle 3 Glocken im Krieg abgegeben werden mussten.

Wir blieben bis ca. 15:30 Uhr im Stollen bis dann endlich die ersten amerikanischen Panzer die Straße herauf rollten. Im Felsenkeller wurde es so unerträglich, wegen der vielen Leute wurde der Sauerstoff knapp, so dass die Karbidlampen ausgingen und die Leute rausströmten und dem „Feind“ als Befreier zujubelten, denn jetzt war der Krieg aus.

Meine Angehörigen und ich gingen dann wieder nach Hause und fanden fünf amerikanische Soldtaten vor die sich, ohne große Zerstörung, Eingang ins Haus verschafft hatten, und benutzen unseren Herd auf dem sie Eier backten welche sie aus unseren Hühnernestern geklaut hatten. Die Besatzungssoldaten benahmen sich sehr human und anständig. Die ehemaligen Gefangenen, welche nun befreit waren, unternahmen einige nächtliche Rachezüge gegen Bauernhöfe, welche aber dann von den Besatzungsmächten unterbunden wurden. Allmählich kehrte wieder Normalität ein. Die Nahrungsmittel waren knapp und man musste sehen dass man über die Runden kam, welches für die Stadtbewohner nicht so leicht war. Sie zogen aufs Land und tauschten alles Mögliche (Bettwäsche usw. gegen Kartoffeln und Brot) ein. Bis in den Herbst hinein gab es keinen Strom.

Nach den fürchterlichen Kriegsjahren waren die Leute arbeitsam und zufrieden. Bis auf einige Familien, welche doch harte Schicksale durch den Krieg erlitten hatten und deren Wunden längere Zeit zu Heilen brachten, wenn überhaupt, die oft alle Söhne im Kriegsgeschehen verloren hatten. Aber auch in der zivilen Bevölkerung waren Opfer durch Bomben und Mienen und auch Hungersnot zu beklagen.“

 

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